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Derzeit wird in den Medien ausgiebig über weitere militärische Hilfe des Westens zugunsten der Ukraine diskutiert. Namentlich die in Aussicht gestellten Panzer „Leopard 2“ stehen im Zentrum der Diskussion. Kaum die Rede ist von sonstigen Gütern, die notwendig sind, damit die ukrainische Kriegsmaschine am Laufen gehalten werden kann. Es stellt sich die Frage, wie diese 800 km weit im Osten versorgt werden kann, wenn die russischen Raketen- und Luftabgriffe weiter fortgesetzt werden, wie bisher.

Bislang stellten Polen, die USA, Großbritannien und Deutschland Kampfpanzer in Aussicht. Andere NATO-Staaten könnten folgen. Zusammen mit den US-amerikanischen Schützenpanzern, deren Lieferung schon früher zugesagt wurde, würde das genügen, um im Frühjahr drei bis vier Bataillons-Kampfgruppen zu bilden. Der ukrainische Generalstabschef Valerii Zaluzhnyi hatte im Dezember erheblich mehr gefordert, aber seine US-amerikanischen Kollegen werden ihn gefragt haben, wie viel Gerät die Ukraine an die Front schaffen und in Betrieb halten kann (1).

Massenverbrauch

Mit dem Transport von gepanzerten Kampffahrzeugen an die Front im Osten der Ukraine alleine ist es nämlich bei weitem nicht getan. Mechanisierte Verbände mit Panzern, Schützenpanzern und Panzerhaubitzen sind schon in Friedenszeiten Großverbraucher von Munition, Betriebsstoff, und Ersatzteilen. In Kriegszeiten steigt der Verbrauch an solchen Nachschubgütern noch einmal drastisch an, nach den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg und aus den lokalen Kriegen des 20. Jahrhunderts bis um den Faktor 30 (2). Erstarrt ein Bewegungskrieg zu einem Stellungskrieg, dann macht die Steigerung des Bedarfs an Hindernis- und Baumaterial die Einsparungen beim Treibstoff ein Stück weit wett. Im Vergleich dazu ist die Versorgung mit Verpflegung, die von Laien oftmals als Hauptaufgabe der Logistik betrachtet wird, ein einfaches Unterfangen.

Im vergangenen Sommer verbrauchten die ukrainischen Streitkräfte UAF unbestätigten Berichten zufolge bis zu 20’000 Artilleriegranaten pro Tag. Wenn nun die ukrainische Artillerie gänzlich auf das NATO Standard-Kaliber 155 mm umgestellt werden soll, dann muss die Munitionsversorgung aus Westeuropa erfolgen, denn Artilleriemunition dieses Kalibers wird in der Ukraine nicht produziert und ist auch nicht eingelagert. Dasselbe gilt für die 120 mm Panzermunition für die westlichen Panzer (3), sowie für Lenkwaffen aller Art (4). Es muss auch ein ständiger Strom von Verbrauchsmaterial, Ersatzteilen und grundlegenden Ausrüstungsgegenständen aufrechterhalten werden, denn in Kriegszeiten sind Verschleiß und Verlust von Waffen und Ausrüstung aller Art um ein Mehrfaches höher, als in Friedenszeiten. Im Zweiten Weltkrieg produzierten alle Teilnehmerstaaten beispielsweise weit mehr Handfeuerwaffen, als sie Soldaten mobilisierten, denn viele Waffen gingen in den Kämpfen verloren oder wurden zerstört (5).

Mineralölprodukte wurden in der Ukraine vor dem Krieg in Raffinerien in der Region Lviv/Lvov, in Ivano-Frankivsk, Odessa, Kherson und in Lysychansk hergestellt (6). Jedes der neu mit westlicher Technik auszurüstenden Bataillone wird täglich mehrere tausend Liter Treibstoff verbrauchen, die am besten gleich mit einem Kesselwagen zugeführt werden, damit arbeitsaufwändige Umfüllaktionen unterbleiben können (7).

All das muss weit aus dem Westen herangeführt werden. Möglicherweise beschränkt die Transportkapazität des ukrainischen Verkehrsnetzes die Anzahl der Großsysteme, welche die Ukraine im aktuellen Krieg überhaupt einsetzen kann.

Lange Reisen in einem riesigen Land

Der Transport von Großgerät und Nachschubgütern aller Art von den Grenzen der NATO-Länder in den Operationsraum – gegenwärtiger Schwerpunkt ist wohl der Raum Kramatorsk – Kostiantynivka (8) – ist eine Herausforderung, wenn man die Rahmenbedingungen betrachtet. Die Distanzen sind enorm: Von Kostiantynivka bis an die polnisch-ukrainische Grenze bei Przemyśl sind es mehr als 1’200 Straßenkilometer und von Izmail im äußersten Süden bis Chernihiv/Chernigov im Norden über 800 km. Aufgrund der anhaltenden Raketenschläge ist davon auszugehen, dass die russische Aufklärung, inklusive Agenturaufklärung auf dem ganzen Gebiet der Ukraine operiert (9). Die Russen werden folglich um Kriegsmaterial-Transporte in der Ukraine wissen.

Ein Straßenmarsch über 1’200 km kommt für die versprochenen Panzer nicht in Frage, denn Raupenfahrzeuge sind nicht für längere Fahrten auf Straßen ausgelegt. Die überwiegende Mehrzahl der Panzer würde wohl irgendwo auf der Strecke defekt liegenbleiben und müsste in Werkstätten abgeschleppt werden. Auf Tieflader-Lkw können in der Regel ein Kampfpanzer oder zwei Schützenpanzer verladen werden (10). Das Gesamtgewicht des Transports beträgt dann um die 100 t, was umfangreiche Abklärungen über Einschränkungen bei Breiten, Höhen und Tragfähigkeit auf dem Straßennetz notwendig macht. Die Marschgeschwindigkeit solcher Sondertransporte ist in der Regel tief.

Der Luftverkehr in die Ukraine ist seit dem 24. Februar 2022 praktisch eingestellt. Eine große Transportmaschine wie zum Beispiel die US-amerikanische C-17 Globemaster transportiert in einem Flug in etwa dieselbe Menge an Gütern, wie ein einziger Bahnwagen (11). Frachtflugzeuge eigenen sich für den Transport spezieller Güter, die rasch geliefert werden müssen; für einen konstanten Strom von Gütern massenweisen Verbrauchs eignen sie sich hingegen nicht. Auch muss für Transportflugzeuge die Sicherheit vor Luftangriffen gewährleistet werden. Wenn dies gelingt, dann können auch die viel effizienteren Eisenbahnzüge gefahrlos verkehren.

Ein weiteres leistungsfähiges Transportmittel, nämlich Flussschiffe, kann die Ukraine nicht nutzen, weil der Dnepr (Dnipro) in seinem Unterlauf von russischen Truppen kontrolliert wird.

Riesiges Eisenbahnnetz

Die bei weitem einfachste und effizienteste Methode, Panzer und Massengüter zu transportieren, ist die Eisenbahn, die im aktuellen Konflikt von beiden Seiten bis an die Grenze des Möglichen genutzt werden dürfte. Das ukrainische Eisenbahnnetz ist weitgehend elektrifiziert, aber nach den russischen Angriffen auf die Stromversorgung dürfte nur ein Teil unter Strom stehen, sodass auf Diesellokomotiven zurückgegriffen werden muss (12).

Die ukrainische Bahn ist durchaus modern, was angesichts der Bedeutung der Eisenbahn in dem riesigen Land nicht erstaunt. Das ukrainische Eisenbahnnetz ist in der russischen Breitspur (1520 mm) ausgebaut, während die westeuropäischen Eisenbahnnetze mit Ausnahme Moldawiens in europaeischer Normalspur (1435 mm) gehalten sind. Das verunmöglicht die Nutzung westlichen Rollmaterials in der Ukraine. An den Grenzübergängen nach Polen, Rumänien, Ungarn und die Slowakei müssen Züge folglich um-gespurt oder Transportgüter umgeladen werden. Die Grenzübergänge nach Transnistrien bzw. Pridnistrowien (PMR) sind für westliche Waffentransporte wohl kaum offen. Offenbar ist das moldawische Streckennetz derzeit in einem schlechten Zustand und damit wenig leistungsfähig (13).

Karte: Eisenbahnnetz der Ukraine, Grenzbahnhöfe, Häfen und Raffinerien
Quelle: https://vkraina.com/karta-zheleznyh-dorog-ukrainy/, Ergänzungen: Verfasser

Auf der anderen Seite ist das ukrainische Eisenbahnnetz weit verzweigt und keineswegs so auf einen Mittelpunkt zentriert wie das russische. Da lassen sich immer Umfahrungen organisieren. Ein so umfangreiches Bahnnetz wie das ukrainische gänzlich zum Kollaps zu bringen, ist fast unmöglich.

Abriegelung des Operationsraums

Als Abriegelung aus der Luft (englisch Air Interdiction AI) bezeichnet die NATO Luftkriegsoperationen, welche das militärische Potential eines Gegners ablenken, behindern, verzögern, in der Wirkung herabsetzen oder zerstören, bevor es effektiv zur Wirkung gelangen kann. Angesichts seiner Bedeutung kann es nicht erstaunen, dass die Russen das Schwergewicht ihrer Interdiktion gegen das ukrainische Eisenbahnnetz richten. Das ist nichts Neues in der Kriegführung: Im Zweiten Weltkrieg entwickelten die Alliierten diese Form des Einsatzes von Luftstreitkräften. Vordenker war damals der südafrikanische Wissenschaftler Solly Zuckerman (14).

Ein Angriff auf die Grenzbahnhöfe zwischen der Ukraine und ihren westlichen Nachbarn wäre für die Russen verlockend, da das erwähnte Um-Spuren von Zügen Stunden dauern kann (15). Da wird es für die Ukrainer sicherer und fast einfacher sein, Waren westlich der Grenze abzuladen, auf Lkw über die Grenze zu schaffen und sie einige Kilometer im Landesinneren wieder auf Bahnwagen zu verladen. Andererseits sind russische Raketenangriffe auf die Grenzbahnhöfe nur mit Einschränkungen realisierbar, denn es muss tunlichst vermieden werden, dass auf westlicher Seite Opfer oder Schäden entstehen. Den Zweck, den Zugverkehr in den Osten der Ukraine zu unterbinden, erreichen auch Angriffe im Landesinnern, namentlich wenn es gelingt, ein halbes Dutzend Eisenbahnknoten außer Betrieb zu setzen. Es ist gleichzeitig effizienter und risikoärmer, diese anzugreifen, als 14 Grenzbahnhöfe.

Selbst mit einer Rakete oder einem Marschflugkörper, der 500 kg Sprengstoff 3 bis 10 m genau an ein Ziel bringt, ist kaum nachhaltiger Schaden an einer Bahnlinie auf offener Strecke anzurichten (16). Das Ziel – ein Bahndamm – ist vergleichsweise klein und nur ein Nahtreffer wird wesentlichen Schaden verursachen. Zerstörte Fahrleitungen und beschädigte Gleiskörper sind aber einfach zu reparieren. Raketenangriffe müssten folglich gegen Orte gerichtet werden, wo aufwändige Kunstbauten zerstört werden können, wie Tunnels, Brücken, Bahndämme oder ähnliche, oder wo der Zugang zum Schadenplatz erschwert ist. Ein einzelner Schlag gegen ein Objekt genügt aber nicht, vielmehr muss der Angreifer danach die Wiederinbetriebnahme der Strecke durch Folgeangriffe auf Reparatur-Züge, Baumaschinen und neu erstellte Provisorien verzögern. Das nennt sich in der russischen Terminologie «systematische Kampfhandlungen». Solche können durchaus mit anderen Mitteln erfolgen als der erste Schlag. Diese Vorgehensweise setzt aber die Anwesenheit von Aufklärern am Ziel voraus, die nach einem ersten Schlag eventuell nicht mehr so schnell ans Objekt kommen, weil der Gegner nach ihnen sucht.

Am erfolgversprechendsten sind natürlich Schläge gegen Knotenpunkte, an welchen möglichst viele technische Systeme der Eisenbahn zusammenkommen. Nur schon ein Ausfall zum Beispiel der Streckensicherungssysteme senkt die Leistungsfähigkeit einer Eisenbahnlinie deutlich herab. Ohne solche Systeme müssen Züge auf Sicht fahren, was auf unübersichtlichen Streckenabschnitten zu einer Reduktion der Geschwindigkeit auf 30 bis 40 km/h zwingen kann.

Karte: Optionen der operativen Abriegelung (Interdiktion) durch die russischen Streitkräfte
Quelle: https://vkraina.com/karta-zheleznyh-dorog-ukrainy/, Ergänzungen: Verfasser

Zur Abriegelung der Ostukraine können die Russen mehrere Linien definieren, entlang derer sie die Eisenbahninfrastruktur zerschlagen. Am wirkungsvollsten ist Interdiktion dann, wenn das ganze Arsenal aus ballistischen Raketen, Marschflugkörpern, Bombern, Schlachtflugzeugen, Kampfhubschraubern, Artillerie, Sonderoperationskräften und Saboteuren eingesetzt werden kann. Je näher die Ziele an der Front liegen, desto grösser ist die Auswahl der Mittel. Auch nicht-kinetische und orts-unabhängige Methoden wie Computer-Netzwerk-Operationen oder ähnliche sind denkbar.  Mit all diesen Mitteln können die russischen Streitkräfte ein tiefgestaffeltes Dispositiv der Interdiktion betreiben. Die Vielzahl der möglichen Angriffsarten hat für den Verteidiger zur Folge, dass er sich nicht auf eine bestimmte Form der Bedrohung konzentrieren kann und einen hohen Aufwand zum Schutz betreiben muss. Der Schutz vor Luftangriffen kann sicherlich nur auf ausgewählten Teilen des ukrainischen Streckennetzes sichergestellt werden.

Langsame Nachtfahrten

Die Ukraine muss eine Reihe von Schutzmaßnahmen ergreifen, um die Sicherheit ihrer Bahntransporte zu gewährleisten. Der Transport von Großgerät auf Tiefladern ist besonders auffällig. Selbst wenn es durch Planen abgedeckt wird, lässt allein schon der Wagentyp Rückschlüsse auf das Transportgut zu. Eine Maßnahme zur Täuschung können Transporte von Panzer-Attrappen sein. Generell sollten Fahrten nachts stattfinden, mit ausgeschalteten Lichtern. Das erschwert der russischen Aufklärung die Arbeit, ist aber lange noch keine Garantie für eine sichere Fahrt, denn Nachtsichtgeräte sind heute weit verbreitet. Fahrten bei Tag wären aber riskanter, denn tags sind zu viele Leute per Bahn unterwegs, die sich als Informanten betätigen könnten. Nachts können die Züge «sprungweise» von Knotenpunkt zu Knotenpunkt fahren, wo sie tagsüber in Segmenten aufgeteilt und getarnt stehen bleiben. Das ist nur an Rangierbahnhöfen mit mehreren Gleisen möglich. Abseits davon, auf freier Strecke, müssen Eisenbahnpioniere spezielle Warteräume bauen. Die ukrainische Armee besitzt Eisenbahntruppen, die solche Warteräume, aber auch kurze Streckenabschnitte neu bauen können.

Knotenpunkte, Warteräume und besonders gefährdete Streckenabschnitte können durch künstlichen Nebel getarnt werden. Die russische Armee beispielsweise besitzt in ihren ABC-Abwehrformationen sogenannte Aerosol-Erzeuger (17). Die damit ausgerüsteten Aerosol-Bataillone können Dutzende von Kilometern Straße oder Schiene einnebeln und dem Gegner dadurch die Zielaufklärung massiv erschweren. Solches Gerät ist in der Ukraine sicherlich auch verfügbar.

Grundsätzlich muss die Ukraine auf dem ganzen Eisenbahnnetz den Gegennachrichtendienst gegen Agenturaufklärung, Sonderoperationskräfte, Drohnen und andere Aufklärungsmittel organisieren. Auf einem 22’000 km langen Eisenbahnnetz ist das eine Herkulesaufgabe, die sicherlich zur Priorisierung von Strecken und Knotenpunkten zwingt. Eine Abstimmung der Fahrzeiten von Zügen auf die Überflugzeiten von Aufklärungssatelliten ist eine weitere Maßnahme gegen Aufklärung. Zusätzlich muss die Ukraine die zu befahrenden Strecken vorgängig aufklären, damit Züge notfalls angehalten und umgeleitet werden können.

Durch diese und andere Maßnahmen kann die Ukraine sicherstellen, dass das Großtransporte langsam, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an der Front ankommen. Aber diese Maßnahmen senken die Effizienz der Transporte. Eine halbe Woche bis eine Woche könnte so ein Transport schon dauern, für eine Strecke, die man unter Friedensbedingungen in einem Tag schafft.

Einweg-Panzer aus Europa

Die ukrainische Variante der Spannocchi-Doktrin funktionierte im März 2022 recht gut und brachte die vorrückenden russischen Truppen zeitweise in Versorgungs-Schwierigkeiten (18). Die damals eingesetzten Sonderoperationskräfte der ukrainischen Armee dürften mittlerweile weitgehend aufgerieben sein. Ein Partisanenkampf, von dem phasenweise im Raum Melitopol gesprochen wurde, kam nie in Gang und würde übermäßig hohe Verluste unter ungeschulten Enthusiasten verursachen.

Als Folge der russischen Interdiktion entsteht für die UAF die Gefahr, dass Waffen, Munition und Treibstoff quasi tropfenweise im Operationsraum eintreffen. Der ukrainische Generalstabschef Zaluzhnyi muss folglich warten, bis Waffen und Versorgungsgüter in genügendem Ausmaß an der Front eingetroffen sind, um dann mit konzentrierter Macht zuzuschlagen. Das wissen auch die Russen. Durch konstanten militärischen Druck können sie die UAF dazu zwingen, ihre Ressourcen verzettelt in den Kampf zu werfen, sodass operativ kaum zählbare Resultate entstehen. Ohne eine dauernde Versorgung mit Nachschubgütern aller Art und eine frontnahe Basis für Reparatur und Unterhalt werden westliche Waffensysteme nur für Tage bis maximal Wochen im Einsatz bleiben können. Damit ist eine einzige Angriffsaktion größeren Ausmaßes möglich, bevor das westliche Gerät ausfällt: Einweg-Panzer sozusagen.

Die Struktur des ukrainischen Eisenbahnnetzes und namentlich die Dichte des Eisenbahnnetzes im Donbass und im Raum Kharkiv/Kharkov schafft günstige Voraussetzungen für die Versorgung der russischen Kräfte östlich einer Linie Poltava – Zaporozhie. Dort liegt der Vorteil folglich auf Seiten der Russen. Je weiter russische Truppen nach Westen vorstoßen, desto mehr schwächt sich dieser Vorteil ab.

Am Ende könnte sich ein Gleichgewichtszustand einstellen. Russland wird nicht in der Lage sein, die ganze Ukraine militärisch zu besetzen – sollte es das je geplant haben. Besonders nachdem die russischen Streitkräfte selbst dem ukrainischen Eisenbahnnetz so umfassenden Schaden zugefügt haben, werden sie nicht mehr fähig sein, starke Kräfte im Westen der Ukraine zu versorgen. Andererseits steht General Zaluzhnyi vor einem Dilemma: Eine mechanisierte Streitmacht von wenigen Bataillons-Kampfgruppen ist zu klein, um Effekte operativen oder gar strategischen Ausmaßes zu erzielen. Eine Streitmacht, die hierfür stark genug ist, kann er aber womöglich gar nicht unterhalten. Die Geografie setzt den Kriegsparteien eben ihre Grenzen.

Der Beitrag erschien erstmals am 31.01.2023 auf GlobalBridge online unter https://globalbridge.ch/leopard-panzer-an-der-grenze-der-geografie/. 

Anmerkungen:

  1. Für eine Übersicht der US-Lieferungen siehe Matthew Lee, Lolita C. Baldor: Strykers, Bradleys likely in huge US aid package for Ukraine, bei AP, 19.01.2023, online unter https://apnews.com/article/russia-ukraine-military-technology-45417ab5b91036fc291cedf357533509. In einem Interview mit dem Economist hatte General Zaluzhny im Dezember gesagt, er brauche 300 Panzer, 600-700 Schützenpanzer und 500 Geschütze. Siehe „An interview with General Valery Zaluzhny, head of Ukraine’s armed forces„, in: The Economist, 15.12.2022, online unter https://www.economist.com/zaluzhny-transcript.
  2. Angeblich sollen die russischen Truppen im vergangenen Sommer täglich bis zu 60’000 Schuss Artilleriemunition aller Sorten verschossen haben, d.h. vorwiegend 152 und 122 mm Artilleriegranaten, 82 und 120 mm Mörsergranaten, sowie 122 mm Raketen für Mehrfachraketenwerfer. Dazu kommen Verpackung, Zünder, Hilfsmittel, u.a.m. Je nach dem zahlenmäßigen Verhältnis der verschossenen Munitionstypen könnte das gut und gerne ein Gewicht von 2’500 t Artilleriemunition pro Tag bedeuten, die in Dutzenden von Bahnwagen transportiert werden musste.
  3. Artillerie-Granaten des Kalibers 155 mm wiegen in der Regel um die 40 kg pro Stück, Mörsergranaten 120 mm um die 15 kg, Patronen für 120 mm Panzerkanonen um die 20 kg. Die Raketen für die gebräuchlichsten Mehrfachraketenwerfer 122 mm wiegen ca. 65 bis 70 kg/Stück.
  4. Primär die tragbaren Panzer- und Flugabwehr-Lenkwaffen des Westens. Diese sind obendrein noch aufwändig verpackt, damit sie bei Transport und Umschlag keinen Schaden nehmen.
  5. Für die Gewehrproduktion in Deutschland siehe „Produktion von Infanteriewaffen im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkrieges in den Jahren 1940 bis 1944“, bei Statista, online unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1118330/umfrage/produktion-von-infanteriewaffen-im-deutschen-reich/. Vgl. die Armeestärken der deutschen Streitkräfte: ebd. Online unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/252298/umfrage/armeestaerken-im-zweiten-weltkrieg-nach-laendern/.
  6. Siehe Cristi Tataru auf Twitter, online unter https://twitter.com/Cristi_t_85/status/1494349706327113731/photo/1. Die Funktion der Raffinerie in Kherson ist fraglich, jene in Lysychansk steht unter russischer Kontrolle.
  7. Siehe beispielsweise zu Güterwagen der Deutschen Bahn: „Gattung H, Gedeckte, großräumige Schiebewandwagen“, online unter https://gueterwagenkatalog.dbcargo.com/katalog/nach-gattung/h-gedeckte-grossraeumige-schiebewandwagen, und „Kesselwagen Mineralöl Standard 95m³“, online unter https://gueterwagenkatalog.dbcargo.com/katalog/nach-gattung/Kesselwagen-Mineraloel-Standard-95m%C2%B3-5852880#. Für Flachwagen für den Panzertransport siehe „Bahntransportmittel (Bw) – Flachwagen“ bei Panzerbaer.de, online unter http://www.panzerbaer.de/helper/bw_ebtrsp_flachwagen-a.htm.
  8. Russisch Konstantinovka.
  9. Das heißt Aufklärung durch Spione, englisch Human Intelligence HUMINT. Sie kann sich dabei ev. auch auf Sympathisanten stützen.
  10. Vgl. die Homepage der britischen Armee: Equipment, Logistic Vehicles, online unter https://www.army.mod.uk/equipment/logistic-vehicles/ und die Homepage des Herstellers KBR: Heavy Equipment Transporter (HET), online unter https://www.kbr.com/en-gb/experience/heavy-equipment-transporter-het.
  11. Siehe „C-17 Globemaster III“ auf der Homepage der US Air Force, online unter https://www.af.mil/About-Us/Fact-Sheets/Display/Article/1529726/c-17-globemaster-iii/. Die  C-17 hat eine Nutzlast von knapp 78 t.
  12. Siehe Homepage der Ukrzaliznytsia: General Information, online unter https://www.uz.gov.ua/en/about/.
  13. Siehe „Moldau: EU will Moldau zum Verbindungsglied zwischen Rumänien und der Ukraine ausbauen“, bei Lok Report, 16.12.2021, online unter https://www.lok-report.de/news/europa/item/29791-moldau-eu-will-moldau-zum-verbindungsglied-zwischen-rumaenien-und-der-ukraine-ausbauen.html. Zum Zustand der moldawischen Eisenbahn siehe „Moldau/Moldawien: CFM an der Schwelle des Bankrotts“, bei Lok Report, 28.08.2017, online unter https://www.lok-report.de/news/europa/item/732-moldau-moldawien-cfm-an-der-schwelle-des-bankrotts.html.
  14. Siehe Gerd Brenner: Bahn frei in den Kalten Krieg!, bei World Economy, 10.08.2021, online unter https://www.world-economy.eu/nachrichten/detail/bahn-frei-in-den-kalten-krieg/.
  15. Der Verfasser hat diesen Vorgang selbst schon miterlebt.
  16. Vgl. Ralph Bosshard: Die russische Luftkriegskampagne gegen die Ukraine, bei bkoStrat, 20.11.2022, online unter https://bkostrat.ch/2022/11/20/russische-luftkriegskampagne-gegen-ukraine/.
  17. Siehe zur Nebelmaschine „Дымовая машина ТДА-2К“, die 1’000 m Strecke für 4 bis 10½ Stunden einnebeln kann auf der Homepage des russischen Verteidigungsministeriums, online unter https://structure.mil.ru/structure/forces/ground/weapons/rhbz/more.htm?id=10369841@morfMilitaryModel. Zur TDA-3 siehe “ МАШИНА ДЫМОВАЯ ТДА-3″, bei ИНПРОКОМ, online unter https://inprokom.ru/catalog/voennaya-tehnika/dimovaya-mashina-tda-3/, beide Beiträge in russischer Sprache. Ein Video dazu bei „Оружие России, ТДА-3, дымовая машина“, online unter https://www.arms-expo.ru/armament/samples/1281/84624/.
  18. Diese Konzeption der Landesverteidigung im Kalten Krieg definierte in Österreich unter anderem sogenannte Raumsicherungszonen in denen der Jagdkampf in Form von Kleinkriegsaktionen wie Überfällen, Hinterhalten und Störaktionen geführt werden sollte, damit es dem Österreichischen Bundesheer leichter fällt, Schlüsselräume zu behaupten. Ähnlich operierte die ukrainische Armee im Frühling 2022: Sie verzichtete auf die Verteidigung der Grenzräume und konzentrierte sich auf wichtige Räume im Landesinnern. Die rückwärtigen Elemente der vorrückenden russischen Truppen wurden im Raum zwischen der Grenze und den bezeichneten Schlüsselräumen durch Jagdkommandos und lokale Kräfte bekämpft. Das funktionierte im Fall von Kiew, nicht jedoch von Mariupol und Kherson. Siehe Andreas Stupka, Thomas Lampersberger: Operation im Alpenvorland – Teil 3, bei Truppendienst, 15.11.2016, online unter https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/operation-im-alpenvorland-teil-3/ und Horst Pleiner: Die Entwicklung der militärstrategischen Konzeptionen des österreichischen Bundesheeres von 1955 bis 2005, bei Truppendienst 3/2005, online unter https://www.bundesheer.at/omz/ausgaben/artikel.php?id=302. Zu General Spannocchi selbst siehe Redaktion Truppendienst: General Emil Spannocchi, bei Truppendienst, 15.11.2016, online unter https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/general-emil-spannocchi/#page-1
  19. Titelbild: Allenrobert: Train Crash, online unter https://pixabay.com/photos/train-crash-accident-catastrophe-396263/.